HENNING PAULY - Über Kontroll-Freaks, 'Ghost-Drummer' und die Sache mit Weihnachten

Interview by Isabell Raddatz

Henning Pauly hat mit seinem Projekt "Babysteps" ein weiteres Meisterwerk geschaffen, das mit einer kompletten Story auffährt.

Das FRAMESHIFT-Mastermind hat dafür wieder einige Sänger an seiner Seite, darunter DREAM THEATERs James LaBrie, Michael Sadler von SAGA, CHAIN-Sänger Matt Cash und Jody Ashworth vom TRANS-SIBERIAN- ORCHESTRA. Dass er das musikalische Ruder aber auch diesmal nicht aus der Hand gelegt hat, ist für ihn nicht nur eine Sache der Ehre. ROCK HARD erzählt er von der Entstehung des Albums und lüftet das Geheimnis um seinen "Bruder" und Schlagzeuger Eddie Marvin.

"Babysteps" hat eine eigene Story und ist wie ein Musical aufgebaut. Basiert die Geschichte auf eigenen Erfahrungen, oder woher hattest du die Inspiration dazu?

Henning: Als ich 1995 Zivildienst machte, freundete ich mich mit einer Gruppe Patienten an. "Babysteps" ist deren Geschichte. Natürlich mussten ein paar Sachen verändert werden, aber die Kernstory basiert auf dem, was ich in meiner Zivildienstzeit erlebt habe.

Auf dem zweiten FRAMESHIFT-Album "The Absence Of Empathy" gab es ebenfalls eine Storyline. Wie kamst du auf die Idee, Erfahrungen so direkt in einer Geschichte zu verarbeiten? Werden deine nächsten Projekte auch nach diesem Konzept aufgebaut sein?

Henning: Die Storyline auf "Absence" hat nichts mit meinen Erfahrungen zu tun. Bei dem Album geht es um Gewalt in verschiedenen Formen, und ich bin ein total gewaltfreier Mensch. Beim zweiten Frameshift-Album ging es also mehr um ein Konzept als um meine Erfahrung. Die Idee kam von Label-Chef Shawn Gordon. Die erste Chain-Platte und die erste Frameshift-Platte waren auch Konzeptalben, hatten aber keine Storyline, sondern Lieder, die sich alle um dasselbe Thema drehen: Evolution.

Bei der dritten Frameshift-Platte wird es auch ein Konzept geben. Es ist schon ausgearbeitet, Songtitel sind schon festgelegt, und ich habe auch schon eine gute Idee für den Titel der Platte. Mal sehen, ob das alles so hinhaut.

Gibt es Pläne, das Album "aufzuführen", vielleicht sogar in einer kleinen Inszenierung?

Henning: Nein. Das war zwar immer der Plan, aber es wäre sehr schwierig, alle Sänger zusammen zu bekommen. Außerdem bin ich nicht bekannt genug, um genug Leute für eine Show zu ziehen. Der Aufwand wäre zu groß. Und außerdem muss ja jemand im Studio sitzen und die nächste Platte schreiben.

Bei "Babysteps" haben viele verschiedene Sänger mitgewirkt. Wie kam es zu dieser Kooperation?

Henning: James LaBrie hatte seine Parts schon bei den Sessions für die erste Frameshift-Platte eingesungen (Unweaving The Rainbow). Michael Sadler hat oft mit mir gearbeitet, wir sind gute Freunde. Er war also eine einfache Wahl. Matt Cash war jahrelang mein Co-Writing-Partner, mit dem ich sehr viel geschrieben und aufgenommen habe. Er ist kein Metal-Sänger, aber hat eine göttliche Stimme, und seine Phrasierung ist der Hammer.

Jody Ashworth hat auf der Trans-Siberian-Orchestra-Platte "Beethoven's Last Night" die Titelrolle gesungen, und ich bin ein TSO- und Savatage-Fan. Eines Tages rief mich jemand an, um sich als Jingle-Sänger anzubieten. Ich schreibe kommerzielle Jingles für Radio- und Fernsehwerbung und Jody wollte wissen, ob er als Sänger in Frage käme. Nach einem kurzen Gespräch fand ich raus, wen ich da am Apparat hatte und lud ihn ins Studio ein um ihm Babysteps vorzustellen. Er fand die Story und die Musik super und wollte es machen.

Bereits vor einem Jahr war bekannt, wer bei "Babysteps" mitmachen wird, u. a. auch Jill Gioia von TSO und Maya Haddi. Die beiden sind aber im Booklet nicht aufgeführt. Warum kam die Zusammenarbeit mit ihnen nicht zustande?

Henning: Ich bin wieder nach Deutschland gezogen, wollte Babysteps aber noch in Amerika fertig machen. Hier in Deutschland hätte ich die Sänger einfliegen müssen und alles wäre komplizierter geworden. Das ist auch ein Grund, warum Babysteps keine Doppel-CD wurde. Es war einfach keine Zeit mehr, es so komplex zu machen, wie es geplant war. Ich musste die Story also etwas abändern, und bei nur einer CD wollte ich nicht so viele Sänger draufknallen. Das Wichtigste war, dass Babysteps rauskam, wenn auch nicht in der Form, in der ich es gerne gehabt hätte.

Normalerweise heißt es ja: "Viele Köche verderben den Brei". Das hört man dem Album aber gar nicht an. Wie waren denn die Aufnahmen mit so vielen verschiedenen Musikern?

Henning: Na ja ... Weiß ich nicht, eigentlich waren es nicht viele Leute. Also: Ich habe alle Instrumente selbst gespielt . Die Ausnahmen an den Instrumenten sind Jim Gilmour und Ian Crichton von Saga, die jeder ein Solo gespielt haben. Dann sind da die Sänger - und die sind ja diejenigen, die den Brei so gut schmecken lassen.

Habt ihr alle gemeinsam das Projekt entwickelt? Wie war da die Aufgabenverteilung?

Henning: Wie immer hat Matt bei einigen Songs mitgeschrieben. Jody und ich haben einen Song zusammen geschrieben. Generell bin ich der Produzent und mache sehr viel im Alleingang, aber natürlich ist die Meinung der Beteiligten wichtig und fließt auch in das Projekt ein. Einige der Songs sind schon etwas älter. Die wurden teilweise zusammen mit Marcus Gemeinder geschrieben, einem Pianisten aus Deutschland.

Obwohl du bei FRAMESHIFT ja nur deinem "Bruder" Eddie Marvin die Drums überlassen und den Rest selbst eingespielt hast, sind bei "Babysteps" auch einige andere Gastmusiker dabei. Wie war es denn, etwas von seinen Aufgaben abzugeben? Hat dein "Bruder" auch dieses Mal wieder die Drums gespielt?

Henning: Ja, nur um das klarzustellen: Es gibt keinen Eddie Marvin. Das Schlagzeug ist, genauso wie auf allen anderen meiner Platten, komplett programmiert, und zwar mit einer Maus auf einem Computerbildschirm. Jeder Schlag wird einzeln dort hingesetzt, wo ich ihn haben will. Eddie war nötig, weil das Label und ich wussten, dass Metal- und Prog-Fans nicht glücklich mit programmiertem Schlagzeug sind. Jetzt ist das etwas anderes. Ich habe für sieben Platten gute Rezensionen bekommen, in denen unter anderem das tolle "Drumming" hervorgehoben wurde. Wenn jetzt noch jemand sagt, dass das Schlagzeug scheiße klingt, dann hat das nichts mit den Parts zu tun, sondern nur mit einer Aversion gegen "künstliche" Elemente. Mir geht es allerdings um die Musik - das, was man am Ende auf der Platte hört, und das, was es einem emotional gibt - nicht, wie man dort hinkam.

Und um die Frage zu beantworten: Ich musste keine Aufgaben abgeben, nur zwei Soli und den Gesang, den ich sowieso nicht selbst kann. Ich arbeite momentan mit einem anderen Gitarristen an ein paar Ideen für die neue Frameshift-Platte, um neue Ideen reinzubekommen. Aber: ja, das ist ein kleines Problem für mich! Ich bin ein totaler Kontroll-Freak und muss über alles "regieren". Aber das bringt nicht immer das beste Resultat. Manchmal muss man einfach Hilfe annehmen und damit klar kommen, dass man selbst nicht immer die besten Ideen hat. Da werde ich mich noch dran gewöhnen müssen.

Das Albums ist sehr abwechslungsreich. Es gibt aggressive Songs und Instrumentals. 'The Last Song' ist am Ende sogar ein belebendes und recht fröhliches Lied. Bevorzugst du eine Art der Musik auf dem Album?

Henning: Definitv die lockeren Stücke, die mehr nach Singer/Songwriter-Material klingen. 'The Last Song' gefällt mir besonders gut. 'The Door' ist auch schön geworden.

Was kann man denn in Zukunft von dir erwarten? Steht das nächste FRAMESHIFT-Album schon in den Startlöchern?

Henning: Ja, wie schon gesagt: Ich denke, diese Platte wird mehr Metal als Prog. Ich spiele mit einfacheren Songstrukturen und versuche von dem Frickelkram wegzukommen. Harte, direkte Riffs, aber immer mit einer Prise Frameshift drin. Also etwas, das es ein bisschen besonders macht. Am Sänger arbeite ich noch, denn das ist ja das Wichtigste bei einer Platte - und vor allen Dingen bei Frameshift.

Kurz vor Schluss noch mal eine ganz andere Frage. Du hattest uns bereits erzählt, dass du ein großer Hunde-Liebhaber bist. Im Booklet von "Babysteps" verabschiedest du deine Hunde Zappa und Fon-Yu. Was ist passiert?

Henning: Kurz vor unserem Umzug sind alle drei aus dem Garten ausgebüchst. Wir konnten nur unseren Weimaraner "Congo" finden und erhielten am nächsten Morgen einen Anruf, dass die anderen beiden überfahren wurden. Wir wollten eigentlich alle drei mit nach Deutschland nehmen. Ich vermisse die beiden sehr.

Weihnachten steht ja vor der Tür. Hast du schon alle Geschenke, bist du einer von denen, die am 23. durch die Geschäfte hetzen, oder sogar der Selbstbastler-Typ?

Henning: Selbst basteln - da lach ich doch. Quatsch. Jeder bekommt von mir Unterhosen und Socken, wie sich das gehört. Vielleicht noch 'ne Mandarine. Also nee, ich habe noch gar nichts eingekauft. Mal sehen, wann ich das mache - und wie und was. Ich bin noch gar nicht bereit für Weihnachten.

Was wünscht sich denn ein Henning Pauly zu Weihnachten?

Henning: Wenn ich ehrlich sein soll und sage, was mir als Erstes einfällt, dann wünsche ich mir, dass meine Freundin und ich nicht mehr so viel Stress haben. Das geht hier hin und her und wir sind kurz davor, dass sie auszieht. Wenn das der Fall sein sollte, wünsche ich mir, dass es ihr gut geht, wohin auch immer sie geht.

Falls Du eine einfache Antwort willst: Ich hätte gerne ein Nintendo Wii oder eine PS3 ... und viele naggische Mädels!

Feierst du Weihnachten mehr auf die amerikanische oder deutsche Art? Welche gefällt dir besser?

Henning: Ganz klar, die deutsche!